„Kniefall vor der Tierversuchslobby“

Ärztevereinigung kritisiert Entwurf zur Umsetzung der Tierversuchsrichtlinie als völlig unzureichend

Die bundesweite Vereinigung Ärzte gegen Tierversuche (ÄgT) kritisiert Landwirtschaftsministerin Ilse Aigner für ihre im Januar 2012 vorgelegten Entwürfe zur Umsetzung der EU-Tierversuchsrichtlinie in deutsches Recht. Darin werden teilweise die ohnehin unzureichenden EU-Vorgaben unterlaufen und das deutsche Tierschutzgesetz verschlechtert. Der Ärzteverband wirft Aigner einen »Kniefall vor der Tierversuchslobby« vor.

Die EU-Tierversuchsrichtlinie dient dem vorgeblichen Schutz der für Versuche und andere wissenschaftliche Zwecke verwendeten Tiere. Im November 2010 trat die neue Richtlinie in Kraft und löste damit das alte Regelwerk aus dem Jahr 1986 ab. Die Mitgliedstaaten müssen die EU-Vorgaben bis November 2012 in nationales Recht umsetzen. Im Januar 2012 hat das Bundeslandwirtschaftsministerium (BMELV) nun Entwürfe für ein neues Tierschutzgesetz sowie für eine Tierversuchsverordnung vorgelegt.

Bereits die EU-Richtlinie ist weit von dem entfernt, was im Sinne einer ethisch einwandfreien und wissenschaftlich sinnvollen Wissenschaft zu fordern wäre, da es versäumt wurde, zeitgemäßen, tierversuchsfreien Methoden den Vorrang zu geben. Stattdessen wird weiter am altertümlichen und unzuverlässigen System Tierversuch festgehalten. Sie bietet jedoch in einigen Bereichen Spielraum, wahlweise höhere oder niedrigere Tierschutzstandards zu schaffen. So können die Mitgliedstaaten Versuche an Menschenaffen untersagen und die Forschung an nicht-menschlichen Primaten einschränken. Nach EU-Vorgabe sollte es zudem aus ethischer Sicht eine Obergrenze für Schmerzen, Leiden und Ängste geben, die in wissenschaftlichen Verfahren nicht überschritten werden darf. Die Ärztevereinigung zeigt sich entsetzt darüber, dass Deutschland von der Möglichkeit der Verschärfung des Tierschutzrechts keinen Gebrauch macht und keine Einschränkung selbst solch besonders in der Kritik stehender Experimente vorsieht.

Auch die Regelung der EU, die vorsieht, dass ethische Überlegungen den Kern der Projektgenehmigung bilden, bleibt im deutschen Entwurf unberücksichtigt. Entgegen der EU-Tierveruchsrichtlinie, die ausdrücklich erlaubt, national bereits bestehende strengere Tierschutzbestimmungen beizubehalten, will das BMELV zudem sogar teilweise das geltende Tierschutzrecht verschlechtern. Vorgesehen ist beispielsweise eine umfangreiche Ausweitung der Zwecke, zu denen Tierversuche erlaubt sein sollen. Zwar bot das alte Tierschutzgesetz auch keine wirksame Einschränkung von Tierversuchen, mit der neuen Reglung will die Bundesregierung nach Ansicht des Ärztevereins jedoch offensichtlich den Tierexperimentatoren auf Kosten der Tiere noch mehr Forschungsfreiheit einräumen.

Die Ärztevereinigung wandte sich in einer Stellungnahme an das zuständige Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz und forderte dieses auf, die ohnehin unzureichenden Vorgaben der EU sowie des in Deutschland geltenden Tierschutzgesetzes nicht auch noch zu unterlaufen. Vielmehr müsse endlich den ethischen Wertvorstellungen der Gesellschaft und den Anforderungen an eine moderne, gute Wissenschaft entsprochen werden und ein Paradigmenwechsel hin zu anwendungsorientierter tierversuchsfreier Forschung eingeleitet werden.