Vom Barfen zu Bambi: die Fleischproduktion ins Bewusstsein gerückt

Wie weit kann man sich vom natürlichen Ursprung der Lebensmittel entfernen? Es ist wahrlich nicht leicht zu verstehen: Da werden jährlich allein in Deutschland rund 53 Millionen Schweine geschlachtet, zusätzlich schlappe 759 Millionen Hühner. Die drei Millionen zusätzliche Rinder fallen da fast schon gar nicht mehr ins Gewicht. Verarbeitet werden die Tiere dann zu allerlei Köstlichkeiten, zu allerlei Nützlichkeiten und auch zu allerlei Überflüssigem. Eines eint dabei aber so gut wie alle tierischen Produkte: Sie gehören für die meisten Menschen „einfach dazu“. Wer auf einem Gummibärchen herumkaut, der vergisst schnell, dass er eigentlich Schweineknochen im Mund hat. Der herzhafte Biss ins saftige Steak lässt schnell vergessen, dass sich dieses Steak noch vor ein paar Tagen fröhlich muhend durch den Stall bewegt hat. Vielen Menschen ist die Herkunft ihrer täglichen Nahrung nicht mehr bewusst – oder vollkommen gleichgültig. Und dann kommt BARF. Tatsächlich kann die erstmalige Konfrontation mit Produkten, die den tierischen Ursprung noch erahnen lassen, zu einem leichten Schock – und dann zu tieferem Nachdenken führen. Freuen Sie sich auf einen hochgradig subjektiven Text mitten aus dem Leben.

Hocheffektiver Flausche-Killer
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„Mach das weg. SOFORT!“

Die liebsten Haustiere der Deutschen sind geborene Killer. So süß und flauschig Katzen auch sein mögen: Die Natur hat es so vorgesehen, dass Katzen mit einem Biss ihres kleinen Schnäuzchens dem unaufmerksamen Rotkehlchen ein schnelles Ende verpassen können. Hunde sind ebenfalls Fleischfresser und geborene Opportunisten dazu: Sie fressen mit Vorliebe alles, was ihnen vor die Schnauze kommt, und das möglichst schnell und in möglichst großen Mengen. Mensch gewöhnt sich dran, wenn Mieze mal wieder eine tote Maus mit nach Hause bringt oder Bello im Gebüsch sein persönliches Festmahl „Vergammelter Fuchs“ laut schmatzend verzehrt. So ist die Natur. Hart und grausam. Und ehrlich.

Als bei uns die Überlegung im Raum stand, den Hund zukünftig biologisch artgerecht mit Rohfleisch zu füttern, drang mit einem Mal die harte, grausame Natur in die heimelige Welt unseres Zuhauses ein. Während tiefgekühltes und gewolftes Muskelfleisch keinerlei Aufsehen erregte („Das sieht aus wie Gulasch. Fast schon lecker.“), sorgte ein anderes Produkt aus der Erstbestellung dafür, dass die Dame des Hauses die gesamte Tonleiter des Ekels durchexerzierte. Der Auslöser der vollkommenen Irritation: Einer der zur Probe bestellten Hunde-Kauartikel, nämlich getrocknete Kaninchenohren mit Fell. Wenngleich der sechsjährige Nachwuchs mit vorsichtigem Interesse die ungewohnte Delikatesse betrachtete und befühlte („Das ist ja ganz weich.“), war die Contenance bei der ansonsten sehr unaufgeregten Frau am Ende. Da halfen keine blöden Sprüche („Schau mal Schatz, Meister Lampe hat seine Löffel abgegeben.“) und auch keine pseudo-wissenschaftlichen Einwände („Der Hase war so schnell tot, der hat nicht mal den Schuss gehört. Zack, Lichter aus, Ohren ab.“). Nur der Hund enthielt sich aller Kommentare, nahm freudig schwanzwedelnd die getrockneten Hasenohren entgegen und verkroch sich mit der Spezialität des Tages auf seine Kuscheldecke.

Völlige Entfremdung – oder reine Abwehrhaltung?

Es ist schon eigenartig. Während die meisten von uns völlig emotionslos Schweine, Rinder, Hühner oder Schafe in den Kochtopf werfen, löst so etwas Banales wie getrocknete Hasenohren mit Fell heftige Abwehrreaktionen aus. Die Frage, die sich hier stellt: Sind wir mittlerweile so entfremdet vom Ursprung unserer Nahrung, dass uns der Blick auf tote Tiere beziehungsweise deren getrocknete Überreste derart aus der Bahn wirft? Zeit für einen Selbstversuch.

Romantische Naturidylle oder köstlicher Rehrücken?
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Goodbye, Bambi!

Der Autor dieses Textes ist ein Großstadtkind und in einer Zeit aufgewachsen, in denen es bereits Supermärkte gab. Auch wenn die Jüngeren unter uns eventuell etwas anderes denken: Die 1980er-Jahre waren doch schon recht fortschrittlich. Der Zufall wollte es, dass dem Autoren angeboten wurde, ein frisch erlegtes, junges Reh zu zerlegen – und anschließend zu verköstigen.

Da hing es nun, dieses zwar ausgeweidete, aber dennoch komplett als Reh erkennbare Tier, vor kurzem noch über die Lichtung gehüpft, nun an zwei Haken hängend auf die „Zerwirkung“ wartend. Unter fachkundiger Anleitung ging es dem Reh ans Fell. Wer an dieser Stelle ein blutiges Gemetzel erwartet, liegt daneben. In der Tat lässt sich ein Reh nach dem Ausbluten recht hygienisch und sauber in seine Einzelteile zerlegen. Und auch wenn der erste Schnitt ins Fell durchaus eine Überwindung war: Die Erfahrung des intensiven Beschäftigens mit dem Nahrungsmittel Fleisch ist immens wertvoll, denn eines bringt die direkte Arbeit am und mit dem Tier mit sich: den Respekt vor einem Lebewesen, dass für den menschlichen Genuss eine Kugel ins Herz bekommen hat. Von Ekel oder Abscheu keine Spur.

Tatsächlich stellte sich beim anschließenden Verzehr heraus, dass der Rehrücken nicht nur unvergleichlich zart und köstlich war, sondern auch der Genuss ein komplett anderer. Weil eben nicht nur das „Stück Fleisch“ aus dem Supermarkt auf dem Teller lag, sondern der gesamte Prozess „vom Tier zum Lebensmittel“ in aller drastischer Deutlichkeit ins Bewusstsein katapultiert wurde.

Wer hätte das gedacht: Von der Entscheidung, das Haustier zukünftig zu barfen zu der harten Erkenntnis, dass für jedes Schnitzel irgendwann mal ein Tier sterben musste, braucht es manchmal nur ein paar getrocknete Hasenohren mit Fell. Übrigens: Weder der Autor noch seine Familie sind zu überzeugten Vegetariern geworden. Allerdings landet mittlerweile doch deutlich weniger Fleisch auf den Tellern.